Ein neuer Standard
Für die erste Überarbeitung der Markenidentität von Herman Miller in 25 Jahren haben wir einen neuen Kooperationspartner ins Boot geholt: Order, ein kleines aber feines Designstudio mit Sitz in Brooklyn, New York.
Verfasst von: Kelsey Keith
Fotos von: Brian Kelley
Veröffentlicht: 17. Mai 2024
Im Laufe seiner Geschichte ist Herman Miller seinen Werten – Design zur Lösung von Problemen, hochwertige Produktion, Zusammenarbeit mit außergewöhnlichen Menschen – und der Art und Weise, wie sich das Unternehmen in der Öffentlichkeit präsentiert, bemerkenswert treu geblieben. Unsere Markenaussage entwickelt sich weiter, unterwirft sich aber keinen Konventionen. Nehmen wir zum Beispiel das stilisierte „M", das Irving Harper 1946 von Hand gezeichnet hat: Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Grafikdesigns von Herman Miller.
Bisher wurden für die Markenidentität von Herman Miller die Schriftarten der Meta-Familie und eine vom langjährigen Kreativdirektor Steve Frykholm entworfene Wortmarke verwendet, welche 25 Jahre lang gute Dienste leisteten. Die Kontaktpunkte mit unseren Kunden haben sich jedoch in dem langen Zeitraum seit der Entstehung des Systems verändert. Während ein Großteil unseres Geschäfts auf dem Objektmöbelmarkt stattfindet, erreicht Herman Miller dank seines soliden Online-Geschäfts und den stationären Einzelhandelsgeschäften inzwischen Menschen auf der ganzen Welt. Hinzu kommen die Aktivierung von Social-Media-Plattformen aller Art sowie die erweiterte Markenfamilie von MillerKnoll als Grundstein. Da es immer mehr Orte und Möglichkeiten der Interaktion mit der Identität von Herman Miller gibt, verlangte dieses komplexe System nach einer Weiterentwicklung des Erscheinungsbilds der Marke und damit nach einem umfassenden Designsystem: ein System, dass sich flexibel auf einem Handybildschirm, in einem physischen Raum und überall auf globaler Ebene anwenden lässt.
Nachdem wir im Jahr 2023 das 100-jährige Bestehen unseres Markennamens gefeiert haben, scheint jetzt der beste Zeitpunkt dafür zu sein. Die Idee dahinter ist, das neue Jahrhundert mit einer neuen Markenidentität einzuläuten, die in ihrem Design zeitlos ist und dennoch die Kühnheit, Stringenz, Freude und Taktilität von Herman Miller in sich trägt.
Für diese Herausforderung haben wir Order engagiert, ein Designstudio mit Sitz in Brooklyn, New York, das 2017 von den Designern Jesse Reed und Hamish Smyth gegründet wurde. Der Ansatz von Order ist forschungsbasiert, systematisch sowie funktional und hat zum Ziel, elegante, zweckmäßige und langlebige Markenidentitäten zu entwerfen. (All dies sind Eigenschaften, die mit dem Designansatz von Herman Miller übereinstimmen.)
Der erste Punkt auf der Agenda war die Schriftart. Order vertritt den Standpunkt, dass sich die Typografie für alle Größen und Anwendungsfälle eignen und in der Lage sein muss, jeden Tonfall, von laut bis leise, zu kommunizieren. Dabei sollen veraltete oder trendorientierte Merkmale vermieden werden. Ihre Wahl fiel auf Söhne, eine Schriftfamilie, die von Kris Sowersby von der Klim Type Foundry aus Neuseeland entworfen wurde und die diese Kriterien sowohl funktional als auch stilistisch erfüllt.
Als Schriftart ist Söhne eine humanistische Interpretation der bekannten Schriftart Sans Serif: Akzidenz-Grotesk, die um 1957 in Berlin entworfen wurde und die Beschilderung der U-Bahn für die New Yorker MTA durch Unimark beeinflusste. Sowersby, der Söhne als Hommage an die Akzidenz-Grotesk entwarf, schreibt, dass die ursprüngliche Schrift „von den besten Designern der damaligen Zeit als ‚die einzige [Schriftart] in geistiger Übereinstimmung mit unserer Zeit' gelobt wurde".
Order konzentrierte sich darauf, die Größe und Ausrichtung von Irving Harpers epochalem M-Symbol in eine bessere Harmonie mit der Wortmarke zu bringen. Das Symbol ist nun ein grafisches Element: Im Gegensatz zu den vorherigen Versionen ist es nicht mehr in einem Container eingeschlossen und kann jetzt flexibel als Muster-, Identitäts- oder Markenelement verwendet werden. Ebenso bleibt Rot die Hauptfarbe der großzügig erweiterten Farbpalette der Marke, welche gleichzeitig von einer ungemein abwechslungsreichen Geschichte der Farbverwendung zeugt.
Im Anschluss an das einjährige Projekt von Order zur Entwicklung der neuen Markenidentität von Herman Miller haben wir das Team – Gründungspartner Jesse Reed, Lead Designer Garrett Corcoran und Head of Operations Megan Nardini – in ihrem Studio in Brooklyn besucht, um über die Arbeit zu sprechen.
Wie wirkt sich die grafische Qualität dieser Archivstücke auf Herman Miller als Gesamtheit aus?
Jesse Reed: [Herman Miller ist] eine Unternehmensmarke, aber gleichzeitig auch auf gute Weise etwas ungewöhnlich und unkonventionell. Als wir in den Archiven in Michigan waren und die Unterlagen durchgingen, war da einfach eine Lockerheit in allem zu spüren. Und das in einem gleichzeitig dichten und umfassenden System.
Charles und Ray Eames hatten diese Idee, „das Vergnügen ernst zu nehmen", was auch hier relevant ist. Es ist die Fähigkeit, ein rigoroses System spielerisch zu nutzen.
Reed: Man kann eine Broschüre mit „Informationen" betiteln, das Wort wiederholen, es in diese seriös wirkende Schriftart setzen und am Ende etwas Verspieltes erzeugen.
Als Sie das neue System entworfen haben, haben Sie eine effiziente Methode eingesetzt, um zu kommunizieren, wie klanglich flexibel dieses System sein kann.
Garrett Corcoran: Wir haben Referenzpunkte für einen sehr komplexen sowie für einen sehr zurückhaltenden Ansatz entworfen. Dann haben wir Ihrem Team die Fähigkeit vermittelt, daraus eine bestimmte Anwendung abzuleiten. Das Ziel war nicht zwangsläufig ein starres System, sondern eine Struktur mit inhärenter Flexibilität.
In Bezug auf die Farben haben Sie angemerkt, dass Archivmaterialien einen Ansatz zeigen, der fast mit dem Alexander Girards kollidiert, dem Gründungsdirektor der Textilabteilung von Herman Miller, der eng mit George Nelson und dem Eames Office zusammengearbeitet hat. Man kann die Genialität von Girard nicht reproduzieren oder genau imitieren, was er getan hat. Aber man muss sich in diese Herangehensweise hineinversetzen.
Corcoran: Es würde der Farbpalette nicht gerecht werden, nur das nachzuahmen, [was] frühere Designer [getan haben]. Wir haben uns angesehen, warum sie bestimmte Dinge miteinander kombiniert haben, und versucht, den Denkprozess hinter den Kombinationen zu verstehen, um die Exzentrizität auch in der neuen Palette lebendig zu halten.
Als Herman Miller in den 1960er Jahren international expandierte, verfolgten Lizenznehmer in Europa eine ähnliche Strategie und stellten die besten verfügbaren Designtalente ein. Der berühmte Schweizer Grafikdesigner Armin Hoffmann wurde 1962 beauftragt, dieses Plakat für die Herman Miller Collection zu entwerfen.
Einige der frühen Logo-Versionen mit Harpers M scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen als einige der späteren Ausführungen. Es gibt jedoch eine offensichtliche Verbindung. Wie sind Sie mit dem Symbol umgegangen?
Reed: Die Antwort ist offensichtlich. Das M-Symbol ist die Konstante oder der Anker für jedes einzelne System, das bisher existiert hat. Intern bezeichnen Sie es alle als das „freie" M, als würde es sich frei bewegen. Es könnte als übergeordnete Grafik oder auch als identifizierbare Komponente [einer ganzen Logomarke] gesehen werden.
Corcoran: Wir wollten dem M wieder so viel Flexibilität wie möglich geben, damit es als Protagonist, als Markenzeichen, als unterstützendes Element und alles, was dazwischen liegt, eingesetzt werden kann.
Lassen Sie uns kurz näher auf die Produktion von Grafikdesign eingehen. Diese frühen Versionen spiegeln den tatsächlichen Herstellungsprozess wider. Sie wirken rauer und händischer, weil sie wortwörtlich von Hand und nicht am Computer hergestellt wurden.
Reed: Richtig – obwohl aus dem gleichen Jahrzehnt ist jedes dieser Logos etwas anders. Es ist erstaunlich anzusehen, denn für die Reproduktion musste es jedes Mal von Hand gezeichnet werden.
Corcoran: Ich sehe eine andere Reihe von Prinzipien für die Zielgruppe. Unser aktuelles Konzept bietet eine sehr hohe Zugänglichkeit für jede Zielgruppe. In Ihrem Fall eine breite Verbraucherbasis (im Gegensatz zur internen oder an Händler und Zulieferer gerichteten Kommunikation). Zu dieser Zeit musste nicht unbedingt alles ganzheitlich betrachtet werden, was sich jedoch positiv auswirkte und diesen Designs ihre Eigenart verlieh.
Herman Miller wird oft als „Midcentury" bezeichnet. Inwiefern ist die Bezeichnung zutreffend und was fehlt an diesem Bild?
Corcoran: Man kann die Designtradition von Herman Miller als Unternehmen, das die legendärsten Design-Objekte der Ära entwarf, nicht ignorieren. Es sind jedoch die treibenden Ideen dahinter, die seine Größe und Wichtigkeit in Bezug auf Design im Allgemeinen ausmachen. Für mich ist es nicht ausschließlich Midcentury, weil der Ursprung der Moderne kein Konzept ist, das an eine Epoche gebunden ist. Sie lebt und entwickelt sich immer weiter.
Eine vollständige Ansicht der Design-Richtlinien von Herman Miller finden Sie hier brandstandards.hermanmiller.com.